Autor: Heinz-Jürgen Althoff 
Medium: Blog United Interim
Datum: 14.02.2019

Immer wieder, eigentlich fast ohne Ausnahme, werde ich als Interim Manager von Kunden beauftragt, Sachprobleme aus der Welt zu schaffen. Das beginnt bei Qualitäts- und Kapazitätsengpässen bei angeblich „nicht spurenden“ Lieferanten und reicht bis hin zur Führung ausländischer Betriebsteile oder gar Unternehmen, die irgendwie „nicht funktionieren“ wie geplant.

Nicht selten, sondern eigentlich immer, stellt sich dann bei Mandatsantritt heraus, dass die Sicht auf das Problem so nicht stimmt. Vielmehr sind menschliche Verhaltensweisen auf beiden Seiten mindestens mitverantwortlich für die Misere. Lieferanten sind keinesfalls „unfähig“, sondern sogar Hidden Champions des Weltmarkts. Oder der Auftraggeber hat selbst einen beträchtlichen Anteil an der Misere. Zwei Beispiele gefällig?

  1. Mittelständischer Lieferant

Einmal wurde ich von der BU eines Großkonzerns zu einem mittelständischen Lieferanten geschickt mit der Aufgabe, ihn „auf Vordermann“ zu bringen. Man habe den Eindruck, der Lieferant sei nicht in der Lage, die Probleme zu bewältigen und offenbar auch nicht recht motiviert. Ich fuhr also hin und fand – besagten Hidden Champion – voll konzentriert auf die Sacharbeit.

Was die Mitarbeiter des Lieferanten nicht taten: Seitenlange Berichte schreiben und kontinuierlich schriftlich Rechenschaft ablegen über jeden ihrer Schritte. Weder hatten Sie dafür Zeit noch verstanden sie den Sinn. Woher sollten sie auch wissen, dass in Großunternehmen Papier zur Kommunikation mit Vorgesetzten überlebenswichtig ist, viel wichtiger als im Mittelstand, wo der Geschäftsführer jeden Tag durch die Fabrik läuft und alles direkt mit den Beteiligten bespricht? Also fühlten sie sich ungerecht behandelt, als der Kunde immer schriller auf Berichten bestand.

Der Kunde seinerseits verstand die Verweigerung der Berichte als Desinteresse und Missachtung, ja sogar als absichtliche Zurückhaltung wesentlicher Informationen, die er selbst so dringend in der eigenen Organisation brauchte. Daher kam das fehlende Vertrauen: Der Kunde leitete aus den fehlenden Berichten ab, dass ihm etwas verschwiegen wurde, der Lieferant fühlte sich gegängelt und von der Problemlösung abgehalten. Dass dadurch die Sacharbeit nicht voranging, ist wenig überraschend.

Die Lösung war also nicht, den Lieferanten auf Vordermann zu bringen, sondern zunächst das Vertrauensverhältnis in Ordnung zu bringen und Augenhöhe wiederherzustellen. Das war, und das ist das Schöne an der Stellung als Externer, nicht so schwer wie es klingt. Man muss sich nur darauf einlassen, als Schiedsrichter auch die Befindlichkeiten der Beteiligten einzubeziehen und nicht stur auf die Technik zu starren.

Ich erklärte also beiden Seiten die Vorstellungen und, ja Welten der anderen Seite, schaffte so Verständnis für die „Kollegen“ auf der anderen Seite und warum sie auf diese und jene Forderung oder Aussage genauso reagieren mussten, wie sie es eben taten. Daraufhin legte sich in wenigen Tagen die Aufregung und man kam endlich dazu, das Sachproblem gemeinschaftlich zu lösen.

Hätten das die Führungskräfte der beteiligten Firmen nicht auch tun können?

  1. Konzern

Ein anderes Mal wurde ich von einem deutschen Weltmarktführer gebeten, eine Tochterorganisation in Indien wegen fortgesetzter Projektverzögerungen zu bewerten. Insbesondere stand die Frage im Raum, ob der Standort nicht sogar zu schließen sei und, wenn nein, wie man das aktuelle Pilotprojekt zu Ende führen könne. Nach Ursachenanalyse und Sanierungskonzept bekam ich den Auftrag, das Projekt zu Ende und dabei die Organisation auf Vordermann zu bringen.

Was sofort auffiel, war eine schon fast unnatürliche Freundschaftlichkeit und Kumpanei unter den deutschen Kollegen, der eine kaum versteckte Arroganz gegenüber den Indern gegenüberstand mit der Aussage, dass der „Laden nicht zu retten“ sei. Die typische Gruppenbildung mit Abgrenzung nach außen.

Die Inder hingegen waren wie fast alle Asiaten eher zurückhaltend und fühlten sich nicht akzeptiert. Wie auch?

Was hatte sich da über die Jahre entwickelt? Die deutschen Fachleute telefonierten wild durcheinander mit den verschiedenen Abteilungen in Indien, in bestem Wissen und Gewissen, allerdings unabgestimmt. Dass Ingenieure weltweit dazu neigen, die deutsche Pendants nahezu zu vergöttern und ihre Kompetenz auf keinen Fall in Frage zu stellen, machte die Sache nicht besser. Augenhöhe war also Fehlanzeige, die Inder waren völlig verwirrt, rannten den Anweisungen der Kollegen hinterher, das Chaos war perfekt.

Darüber schwebten die Top-Führungskräfte: Der Leiter der indischen Organisation war ebenfalls Inder, allerdings mit amerikanischer Prägung. Er wollte zwar liefern, aber verstand nicht, dass man mit Deutschen kontinuierlich offen sprechen muss. Also glaubte er, dass das Ergebnis für ihn sprechen werde und kommunizierte kaum mit dem Verantwortlichen in Deutschland. Der wiederum hatte das Gefühl, ihm würde etwas verschwiegen und suchte sein Heil ebenfalls im Mikromanagement.

Mit einem Wort: Auf allen Ebenen herrschte ein allgemeines Misstrauen, bedingt durch kulturelle Unterschiede, mangelnde Kommunikation und ständige Misserfolgserlebnisse. Ein Teufelskreis!

Die Lösung diesmal: Neben organisatorischen und personellen Maßnahmen habe ich mir ausbedungen, jegliche direkte Kommunikation mit und aus Deutschland rigoros zu kontrollieren. Alle Emails und Diskussionen liefen über meinen Schreibtisch, ich war bei allen internationalen (Telefon-) Konferenzen dabei, solange bis ich mich überzeugt hatte, dass die jeweiligen Kollegen auf Augenhöhe zusammenarbeiteten. Wenn nicht, habe ich dafür gesorgt, auch mit massiven Hinweisen an die deutschen Kollegen, ihre Hochnäsigkeit abzustellen. Zu Anfang aufwendig und anstrengend, aber ich war umfassend informiert und bekam sofort mit, wenn etwas aus dem Ruder lief. So konnte ich Übergriffe aus Deutschland stoppen und damit die ganze Organisation in Indien und Deutschland auf Vordermann zu bringen.

Hätten das die Führungskräfte auf beiden Seiten nicht auch tun können?

Schlussfolgerungen

Die beiden aufgeführten Beispiele sind Teil meiner jahreslangen Erfahrung: In den meisten Fällen sind die Ursachen für kontinuierliche Misserfolge nicht organisatorisch-technisch, sondern menschliches Verhalten im weitesten Sinne. Wird dieses berücksichtigt, ist der Erfolg meist nicht mehr weit. Natürlich sind immer noch teils knifflige technische oder organisatorische Aufgaben zu lösen, aber man kommt zum Ziel. Viele der Kollegen, mit denen ich spreche, bestätigen mir immer wieder, dass auch in ihren Mandaten das Menschliche im Vordergrund steht.

Also liegt es doch nahe, dass Führungskräfte zumindest in den höheren Ebenen bei Fällen, wo sich kein Fortschritt abzeichnet, nach eben diesen Verhaltensursachen suchen. Warum konzentrieren sie sich dagegen immer wieder allein auf technisch/organisatorische Fragen und versuchen z.B. sogar, selbst zu konstruieren anstatt sich um die Menschen zu kümmern, die die Lösung bringen könnten?

Meine Antwort aus eigener Erfahrung: Sie haben es nicht gelernt. Sie sind nicht dazu ausgebildet. Sie hatten gar keine Chance.

Der Ausweg

Der Ausweg ist gleichzeitig sehr einfach und ziemlich schwer und aufwändig: Die besten Fachkräfte sind nicht zwingend gute Führungskräfte. Also muss die Auswahl derjenigen, die Führungsaufgaben übernehmen, nach anderen Kriterien geschehen. Gerade bei psychologisch nicht vorgebildeten Fachkräften kann die notwendige Ausbildung und Sensibilisierung länger dauern, denn menschliche Verhaltensänderungen sind ungleich schwieriger zu erzielen als die Verbesserung technischer Fähigkeiten. Bei manchen Menschen zeigen sich auch persönliche Grenzen. Dann hilft nur der konsequente Austausch oder zumindest die Abgabe der operativen Führung an einen „zweiten Mann“, der gezielt für diese Aufgabe ausgewählt wird.

Ganz wichtig: Alle Vorhaben können nur dann gelingen, wenn die Unternehmensführung wirklich dahintersteht.

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